Die ARGE hat die Kosten für mehrtägige Klassenfahrten in voller Höhe zu bezahlen
Die ARGE hat Schülern und Schülerinnen, die Arbeitslosengeld II beziehen, die Kosten für mehrtägige Klassenfahrten, die sich im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen halten, vollständig zu bezahlen. Die von den Städten, Landkreisen und Gemeinden vorgenommenen Begrenzungen auf einen angemessenen Höchstbetrag, in Nürnberg 350,00 €, sind rechtswidrig und unwirksam.
§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II bestimmt, dass Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst sind. Das bedeutet, dass sie in voller Höhe von dem Leistungsträger zu übernehmen sind.
Das Bundessozialgericht hat auch bereits entsprechend entschieden, BSG, Urteil vom 13. November 2008, Az. B 14 AS 36/07 R, FamrZ 2009, 506).
Das Bundessozialgericht führt zur Begründung insbesondere aus:
„Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst und werden gemäß § 23 Abs 3 Satz 2 SGB II gesondert erbracht.“
§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II erlaubt es - entgegen der Rechtsansicht des Beklagten - nicht, die Übernahme der Kosten für mehrtägige Klassenfahrten in der Höhe zu beschränken. Dies folgt bereits aus dem systematischen Zusammenhang, in dem § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II mit § 23 Abs. 3 Satz 5 und Satz 6 SGB II steht (vgl. hierzu Behrend in Juris PK, SGB II, 2. Auflage 2007, § 23 RdNr 85; Hessisches LSG, Beschluss vom 20. September 2005 - L 9 AS 38/05 ER = FEVS 57, 456). § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II schreibt ausdrücklich fest, dass die Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II als Sachleistung oder Geldleistung, auch in Form von Pauschalbeträgen erbracht werden können. § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II erlaubt es mithin ausdrücklich, beispielsweise die Kosten für die Erstausstattung einer Wohnung zu pauschalieren. Nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II sind bei der Bemessung dieser Pauschalbeträge geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen. Beide Normen - § 23 Abs. 3 Satz 5 und § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II - verweisen gerade nicht auf die Kosten der Klassenfahrt nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II.
Die gesetzlichen Ermächtigungen zu einer Pauschalierung bzw. zu einer Einführung von Höchstbeträgen nehmen mithin die Erstattung der Kosten für Klassenfahrten in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II aus.
Dieses Ergebnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Das Sozialgericht hat hierzu zu Recht auf die Gesetzesbegründung zu § 31 SGB XII (BT-Drucks 15/1514, S 60) hingewiesen, denn im Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (BT-Drucks 15/1749, S. 33 zu Art. 1 § 23) wurde zur Begründung der in § 23 SGB II getroffenen Regelungen ausdrücklich die sozialhilferechtliche Parallelvorschrift des § 31 SGB XII in Bezug genommen. In den Materialien zu § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII ist wiederum ausdrücklich klargestellt - worauf auch das Sozialgericht Bezug genommen hat -, dass für mehrtägige Klassenfahrten keine Pauschalen vorgesehen sind. Weiter heißt es: "Da die Regelungen nur Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen umfassen, sollen die tatsächlichen Kosten übernommen werden, um eine Teilnahme zu gewährleisten. Damit wird auch dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass Schulfahrten ein wichtiger Bestandteil der Erziehung durch die Schulen sind." (BT-Drucks 15/1514, S. 60 rechte Spalte zu § 32). Gründe dafür, dass der im Wesentlichen mit § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II wortgleiche § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII zu einer systematischen Bevorzugung der Kinder von Sozialhilfeempfängern führen sollte, sind nicht ersichtlich. Es wäre in der Tat unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) schwer zu begründen, dass Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht zwischen der Gruppe der Kinder von Sozialhilfeempfängern und der Gruppe der Kinder von SGB II-Empfängern bestehen, die eine ungleiche Behandlung im Hinblick auf die Klassenfahrten rechtfertigen können (zum Prüfungsansatz vgl. BVerfGE 116, 229, 238; 112, 368, 401, stRspr).
Schließlich ist es entgegen der Rechtsauffassung der Revision auch nicht möglich, die geltend gemachten Kosten der Klassenfahrt auf ihre "Angemessenheit" zu überprüfen. Der Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II eröffnet gerade nicht die Möglichkeit einer Prüfung der Angemessenheit einer Klassenfahrt. Der Gesetzgeber hat an zahlreichen anderen Stellen im SGB II eine Einschränkung der Leistungspflicht des Grundsicherungsträgers auf eine "angemessene Leistung" vorgenommen.
So hat der Gesetzgeber etwa im Rahmen des § 21 Abs. 5 SGB II bei der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung aus medizinischen Gründen den zu übernehmenden Bedarf im Gesetzeswortlaut ausdrücklich auf die "angemessene Höhe" beschränkt (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 64/06 R). Eine solche Einschränkung enthält der Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II gerade nicht.
Auch kann nicht aus dem allgemeinen - objektiven - Gesetzeszweck des SGB II abgeleitet werden, dass jede Leistung im SGB II gleichsam unter dem Vorbehalt der Angemessenheit steht, weil dieses Gesetz insgesamt als System nur das soziokulturelle Existenzminimum garantieren soll (ähnlich argumentiert Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 23 RdNr 384, Stand 10/07; so wohl auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 20. September 2006 - L 11 B 340/06 AS ER = Breithaupt 2007, 67 = ASR 2007, 25; SG Aachen, Urteil vom 18. November 2005 - S 8 AS 39/05; anders etwa Lang/Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 23 RdNr 109 ff; Rothkegel/Bender in Gagel, SGB III mit SGB II, § 23 RdNr 78, Stand Juni 2008). Auch aus der von der Revision angeführten Entscheidung des BVerwG vom 9. Februar 1995 (BVerwGE 97, 376) kann eine solche generelle Einschränkung des Leistungsanspruchs gerade nicht entnommen werden.
Zwar ergeben sich in der Tat gewisse Wertungswidersprüche, wenn ein insgesamt im Wesentlichen pauschaliertes Leistungssystem, das das soziokulturelle Existenzminimum der Betroffenen lediglich im Vergleich zum unteren Segment der Bevölkerung abdecken soll, gerade im Bereich der Klassenfahrten eine Kostenübernahme vorsieht, die von der Höhe her ein Vielfaches einer monatlichen Regelleistung umfassen kann (eine Begrenzung der Leistungspflicht auf Reisen, die sich auch Eltern mit durchschnittlichem Einkommen leisten können, vertritt etwa Wieland in Estelmann, SGB II, § 23 RdNr 39, Stand Oktober 2006). Dieses Ergebnis hat der Gesetzgeber jedoch bewusst gewählt und es kann nur dadurch vermieden werden, dass entweder der Bundesgesetzgeber im Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II eine Beschränkung auf die Übernahme "angemessener" Kosten vorsieht oder in § 23 Abs. 3 Satz 5 und Satz 6 SGB II auch die Klassenfahrten nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II in die Möglichkeit einer Pauschalierung aufnimmt. Des Weiteren wäre es auch möglich, dass der jeweilige schulrechtliche Landesgesetzgeber beschränkende Regelungen über die Zulassung und Durchführung von Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Vorschriften trifft.
Ist dies - wie offensichtlich hier im Lande Berlin geschehen - nicht der Fall, so verbietet es Art. 97 Abs. 1 GG dem erkennenden Senat, eine gesetzliche Regelung, die insofern unbedingt und eindeutig formuliert ist, zu Lasten der Kläger einschränkend auszulegen.“
Sollte Ihnen die zuständige Behörde die Leistung in vollem oder teilweise Umfang verweigern, so sollten Sie gegen diese Entscheidung innerhalb der Widerspruchsfrist Widerspruch einlegen und, falls diesem nicht stattgegeben wird, Klage erheben.